Holger Dreher 2019

 

Fachtag 2019

Traum vom inklusiven Landleben

 

Menschen mit Behinderung müßten mittendrin und nicht nur dabei sein. Das erwartet Dr. Elke Mandel, Brandenburgs Landesbeauftragte, vom kommunalen Alltag wie von regionaler Planung.

Sie referierte vor 70 Teilnehmern des Fachtages „Perspektiven zur Teilhabe und Inklusion in ländlichen Räumen“, der vom Senior Consulting Service Diakonie und vom Arbeitskreis für die Belange behinderter Menschen in der Orangerie des Schlosses Oranienburg veranstaltet wurde (29.10.2019).

 

Dr. Elke Mandel 2019

 

Dr. Elke Mandel - Teilhabe von Anfang an

Wie schwer es dem Politikbetrieb falle, von Anfang an inklusiv zu denken, offenbart sich ihr an „Leerstellen“ - beispielsweise - im Abschlussbericht der Enquetekommission  „Zukunft der ländlichen Regionen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels“ (April 2019) oder in der Digitalisierungsstrategie 2018 des Landes Brandenburg. Stets müsse Teilhabe erst eingefordert werden, obschon sie eigentlich wie ein Nervengeflecht alle Themenfelder durchdringe.

Gerade auf dem Lande sei das Angebot für alle Einwohner*innen oder Tourist*innen eingeschränkt – im Personennahverkehr und bei sozialen Diensten nicht anders als auf den Wohn- und Arbeitsmärkten. Entsprechend weniger häufig werde „Barrierefreiheit“ öffentlich wie privat ermöglicht. Wechselspiele frühzeitig zu beachten, hält die Landesbehindertenbeauftragte für politisch geboten.

Digiale Kommunikation vom Homeoffice über neue Arbeitsformen bis zum virtuellen Bürgeramt kämen durchaus Menschen mit Behinderungen zugute, doch gleichzeitig blieben Geschäfte, soziale und kulturelle Einrichtungen schwer erreichbar, wo es entweder an Mobilität oder an Service fehle.

Das Leben auf dem Lande sollte für Ärzt*innen wie Pflegedienstleister und deren Familien ebenso attraktiv werden wie für jene Kreative, die es aus der Stadt wegzieht. Dann dürfte das Dorf auch für Menschen mit Behinderungen ein Zukunfts- und Zufluchtsort sein.  

 

Jörg Markowski 2019

 

Jörg Markowski - kleine Schritte zu ‚Oranienburg inklusiv‘

Barrieren in Köpfen und Sprache abzubauen, dazu Strukturen und Prozesse des Rathauses zu verändern, hat sich das Projekt „Oranienburg inklusiv“ vorgenommen. Seit 2017 stellt die Stadt im Kreis Oberhavel nördlich von Berlin jährlich einen Aktionsplan auf. Er soll die UN-Behindertenrechtskonvention lokal umsetzen und die Selbstverpflichtungen von Bund und Ländern erfüllen helfen.

Man habe sich für ein Programm kleiner Maßnahmen, die jeweils übers Jahr realisierbar seien, entschieden, so Koordinator Jörg Markowski vom Evangelischen Johannesstift. Zu Beginn werden Bedarfe und Ressourcen per Interviews abgefragt, bevor Ziele, Maßnahmen und Mittel festzulegen sind, und später Erfolge der Umsetzung ausgewertet.

Am jährlich wiederholten Prozess beteiligen sich Bürger*innen und ihre Vereine. Für ihn lassen sich Mitarbeitende der Stadtverwaltung, aber auch „Experten in eigener Sache“ qualifizieren.

 

Bernt Renzenbrink 2019

 

Bernt Renzenbrink - Inklusionsbetrieb auf dem Pfarrhof

Eine Kirche bleibt im Dorf, in dem sich ein historisch und baulich prägender Ort inmitten eines Friehofs zu einem gleichermaßen sakralen wie kulturellen Gemeindezentrum wandelt. Zugleich öffnet sich das Pfarrhaus den Einwohner*innen und dient als Treffpunkt. Ein Hofladen mit regionalen Produkten und eine Hotelpension ziehen Kunden von auswärts an.

Dazu sucht sich die Kirchengemeinde einen diakonischen Partner, in dessen Inklusionsbetieb Menschen mit und ohne Behinderung einander als Personal und Gäste begegnen. Die Räume der Teilhabe umgibt ein Netzwerk der Nachbarschaft. Es ergänzt das gesellschaftliche Leben der Kommune durch Helfer*innen im qualifizierten Ehrenamt, die mit ambulanten Diensten, Beratungsstellen und Kommune zusammenwirken.

Dieses Modell lag den Empfehlungen des Senior Consulting Service Diakonie zugrunde, die er im ersten Halbjahr 2019 für den Pfarrhof Groß Breesen der Evangelischen Kirchengemeinde der Region Guben erarbeitete. Bernt Renzenbrink und Ernst Rommeney (beide SCS-Diakonie) stellten es als ein Entwicklungsprojekt vor, das aus dem Programm „Soziale Innovationen“ des Landes Brandenburg und des Europäischen Sozialfonds finanziell gefördert wurde.

 

Prof. Alfred Iwainsky

 

Alfred Iwainski – Mobilität durch bewährte Angebote

Wer im ländlichen Raum Mobilität organisieren möchte, habe die Qual der Wahl. Die Aufgabe sei anspruchsvoll, aber lösbar, so man hohe Akzeptanz anstrebe und dabei auf Bewährtes zurückgreife, empfahl Prof. Alfred Iwainsky. Er ist stellvertretender Vorstand der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V. und Manager des Forschungsnetzwerkes „Mobile Dienste – Services für Mobilität“ in Berlin.

Die Alternative zum eigenen PKW oder zur Alleinfahrt seien unverändert Fahrgemeinschaften. Sie ließen sich mit Hilfe digitaler Portale nach regionalem Bedarf oder saisonalen Ereignissen vermitteln. Nicht anders funktioniere der „Rufbus“ oder mancherorts das Verkehrsmittel „Schiff“. Für Leute, die gern per Anhalter unterwegs sind, gebe es – ganz analog - Anhalterbänke mit Richtungsanzeigern.

Auch der Service fürs Radfahren ließe sich ausbauen – etwa durch ein Netz aus Fahrradstationen fürs Parken und Reparieren unter einem Dach, fürs Laden von eBikes, fürs Entleihen von Zwei&Mehr-Rädern aller Art.

Nicht selten würden erst einmal Privatleute die Initiative ergreifen, bis die Kommunen nachzögen, ermuntert Prof. Iwainsky. In jedem Fall sollten Mobilitätsangebote gründlich verglichen und bewertet werden, vor der Entscheidung ebenso wie in Abständen nach ihr, um einzuschätzen, wie und warum ein Angebot angenommen werde.

 

Hans-Peter Nickenig 2019

 

Hans-Peter Nickenig – Plattform für das Dorf 2.0

Das Internet - ob per Glasfaser oder Mobilfunk - habe jede Milchkanne zu erreichen und dabei bezahlbar zu bleiben, betonte Hans-Peter Nickenig, Geschäftsführer des Software-Entwicklers I.T.Out in Nordhorn. Gemeinsam mit Bürger*innen, Forschern, Unternehmern und Kommunen engagiert er sich im Modellvorhaben „Dorfgemeinschaft 2.0“.

Es möchte älteren Leuten eine gewohnte Umgebung erhalten, ihnen helfen, Einschränkungen, soweit es geht, zu beherrschen. Anstrebt wird ein gesundheitsbezogenes Versorgungskonzept für die Grafschaft Bentheim/Emsland, das über eine digitale Begegnungsstätte und Leitzentrale vermittelt wird.

Es enthält vier Bausteine: Virtueller Dorfmarktplatz, Mobilitätsangebote, Digitalisierte Pflege und Rollende Praxis mit Telemedizin. Bewußt wurde das Upgrade 2.0 gewählt, weil es Menschen in ihrem Alltag pragmatisch begleiten soll.

Dass sich mit dem Smartphone Haustechnik, Küchengeräte und Unterhaltungselektronik bedienen lassen, dass Sensorik vielerlei  Meldungen weiterleitet, sei mittlerweile selbstverständlich.

Genauso könne diese Technik - auf eigenen Wunsch - Tagesabläufe oder Gesundheitsdaten beobachten und in kritischen Momenten Verwandte, Nachbarn, gar einen Arzt benachrichtigen. Oder eine intelligente Brille würde vor Hindernissen beim Gehen durch die Wohnung warnen.

Ein virtueller Dorfplatz will allerdings mehr. Anders als das Fernsehen vermag er Einsamkeit zu durchbrechen, Nähe über Entfernungen zu schaffen. Am Ende holt er vielleicht ganz real alte Freunde zurück an den Stammtisch, bringt sie zum Verein oder ins Theater.  

 

SCSD Fachtag 2019