Fachtag Teilhabe

Im Quartier wie im Betrieb

 

Lang sei der sozialpädagogische Weg von der Anstalt bis ins Quartier gewesen. Daran erinnerte Bernt Renzenbrink, der Vorsitzende des Senior Consulting Service Diakonie, die rund 40 Teilnehmer*innen des SCSD-Fachtages „Teilhabe für alle“. Sie diskutierten am 30. Oktober 2018 im Evangelischen Kirchenforum an der Parochialkirche Berlin-Mitte „Innovationen im Quartier“ und „Verantwortung im Sozialbetrieb“.

Teilhabe für alle

Noch vor 50 Jahren lebten allein im Westen Deutschlands 900.000 Menschen mit psychischer Behinderung „intramural“ in großen Einrichtungen. „Extramural“ gab es nur wenige Angebote. Erst als in den 80zigern der Wandel zur gemeindenahen Versorgung einsetzte, die kleinere Einheiten verlangte, wurden Häuser saniert und Bettenzahlen reduziert.

Bernt Renzenbrink, SCSD (PDF)


Ein Jahrzehnt später verbesserte sich das Netzwerk ambulanter Dienste aus Fachärzten, Werkstätten und Tagesstätten und Menschen mit Behinderungen blieben in ihren Familien oder konnten in eigenen vier Wänden leben. Mittlerweile, so Bernt Renzenbrink, ginge es darum, den sozialen Raum in Stadt und Land gemeinsam zu gestalten, von der Integration über die Inklusion zur „Teilhabe für alle“, für Bürger*innen mit und ohne Behinderung.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Nicht erst als Weg, sondern als Ziel stellte Claudia Rustige das Modell der Inklusionsfirma vor. Sie ist Geschäftsführerin der „Bundesarbeitsgemeinschaft bag if“ in Bielefeld, die 900 Unternehmen mit 26.000 Mitarbeiter*innen und einem Jahresumsatz von 1 Milliarde Euro vertritt.


Innovationen im Quartier

Eine Inklusionsfirma beschäftigt 30 bis 50% Arbeitnehmer*innen mit Behinderung, begleitet sie auf dem ersten Arbeitsmarkt, zahlt tariflichen Lohn an barrierearmen Arbeitsplätzen, kombiniert geringqualifizierte mit fachlicher Kompetenz. Allerdings muss sie in marktwirtschaftlicher Konkurrenz bestehen, auch wenn ihr Mehraufwand von den Integrationsämtern der Länder gefördert wird (Lohnkostenzuschuss, Budget für Arbeit).

Claudia Rustige, Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen (PDF)


So sehr sich Claudia Rustige wünscht, dass ein inklusiver Arbeitsmarkt durchlässig wird, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung ihre besten Mitarbeiter*innen irgendwann an die private Wirtschaft vermitteln, so sehr versteht sie, dass selbst vielgelobte Leistungsträger die Schwelle zur jeweils nächsten Integrationsstufe scheuen.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Für ein altersgerechtes Wohnen im Quartier warb Joachim Seeger. Als Ministerialrat im Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat in Berlin betreut er u.a. das KfW-Programm „altersgerecht umbauen“, mit dem seit 2009 etwa 311.000 Eigentümer und Mieter von Bestandswohnungen gefördert wurden.

Und der Bedarf sei unverändert hoch! Bis 2030 werden 2,9 Millionen altersgerecht hergerichtete Wohnungen benötigt, hat die Prognos AG errechnet. Denn bis 2060 werde der Anteil der über 60jährigen an der Bevölkerung auf 33%, der Hochbetagten über 80jährigen auf 13% steigen. Und entsprechend dürfte die Anzahl der Pflegebedürftigen zunehmen.

Joachim Seeger, Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (PDF)


Die meisten dieser Menschen wünschten sich, die eigene Wohnung möglichst nicht aufgeben zu müssen. Ihnen wie auch jungen Familien zu helfen, sich altersgerecht einzurichten, etwa Schwellen und Enge in Räumen zu beseitigen, Treppen zu überwinden, eventuell Assistenzsysteme einzubauen, zugleich aber ebenso das Wohnumfeld zu verbessern, das, so meinte Joachim Seeger, besetze für ihn den viel belächelten Begriff „Heimat“ positiv.

Nicht lösen könne Bauförderung, räumte der Jurist ein, das sozialpolitische Problem, dass Menschen mit geringem Einkommen das Eigenkapital fehle, selbst keine Summe ins Wohnen zu investieren.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Mittelbar engagieren sich institutionelle Investoren im sozialen Raum. Eine kirchliche Pensionskasse wie die VERKA VK in Berlin sieht sich dabei zu ethisch-nachhaltiger Geldanlage verpflichtet. Sie folgt darin gleichermaßen den Prinzipien der UNO wie der EKD.

Einerseits achte sie in der Altersvorsorge auf Sicherheit und Rentabilität, erläuterte Daniel Wolbert, will aber andererseits gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Daniel Wolbert, VERKA VK Kirchliche Vorsorge VVaG (PDF)


Beispielsweise investiere sie in alternative Energie. Darüber hinaus suche sie Direktanlagen zu Themen wie „Green Building“, „Soziale Infrastruktur“ und „Quartiersentwicklung“. Projekte selbst entwickeln dürfe ein Rentenversicherer allerdings nicht.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Sozialversicherungen wirken gemeinsam mit staatlicher Förderung, Sozialhilfe und Finanzausgleich als regionale Stabilisatoren. Sie stärken im Strukturwandel die  Kaufkraft. Nehmen jedoch Einkommen und Vorsorge kontinuierlich ab, spürt dies bald das gesamte Quartier und am Ende der soziale Dienstleister. Seine Kunden können sich immer weniger leisten.

 

Von „Innovationen im Quartier“ zu „Verantwortung im Sozialbetrieb“

Deswegen sollten sie mit gutem Beispiel vorangehen. Schließlich helfe betriebliche Altersvorsorge, begehrte Fachkräfte ans Unternehmen zu binden, riet Martin Kummer. Weshalb sein VERKA-Kollege Rainer Hilf bedauerte, dass die Tarifpartner säumig seien, aus der jüngsten Gesetzesnovelle Branchenmodelle zu entwickeln.

Gerade für Geringverdiener bezeichnet er die neugestaltete öffentliche Förderung als attraktiv, egal ob Altersvorsorge aus einer Zusatzleistung des Arbeitgebers oder einer Entgeltumwandlung des Arbeitnehmers bestehe.

Martin Kummer und Rainer Hilf, VERKA VK Kirchliche Vorsorge VVaG (PDF)


Derzeit trügen junge sowie wenig verdienende Beschäftigte kleiner und mittlerer Unternehmen das größte Risiko, im Alter nicht über eine ausreichende Rente zu verfügen, erläuterte Martin Kummer. Zum einen werde das gesetzliche Rentenniveau bis 2045 sinken, zum anderen sei die betriebliche Zusatzversicherung höchst ungleich über Branchen und Betriebsgrößen verteilt. Dies empfindet er als einen schlimmen Befund über die Generationengerechtigkeit.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Gesundheit ist häufig die zweite Seite der Medaillen Wohnen, Arbeiten, Teilhaben. In Betrieben hat sich allmählich der Sammelbegriff „Gesundheitsmanagement“ eingebürgert. Er meint mehr als Augenprüfung, Rückenschule oder Grippeimpfung, auch Betriebssport, Suchtprävention, Arbeitsplatzgestaltung, interne Kommunikation und Konfliktintervention – und nicht zuletzt gesunde Ernährung.

 

Gesundes Essen aus durchdachten Menülinien

Gemeinschaftsverpflegung regt Kunden*innen, Mitarbeiter*innen und Geschäftsleitung regelmäßig auf. Häufig werden Qualität und Kosten gegeneinander ausgespielt, dabei die eigene Küche oder Kantine in Frage gestellt.

Das müsse nicht so sein, erwidert Kay Lenz. Das Klüh Service Management aus Düsseldorf bietet seinen Kunden nicht allein Werkverträge an. Ebenso könnten sie ihre Betriebsteile Küche, Reinigung, Sicherheit, Facility-Management in eine gemeinsame GmbH einbringen und dabei Mehrheitsgesellschafter bleiben.

Dort würde unter Leitung des Dienstleisters Fachkompetenz gebündelt, die nicht zum Kerngeschäft des Stammunternehmens gehört. Gleichwohl beeinflusst der Service rund ums Haus und das Essen den Ruf und die Zufriedenheit mit einem Krankenhaus, einer Seniorenresidenz, einer Schule oder einem Kindergarten.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Essen und Ernährung gehört für Torsten Senz zum betrieblichen Gesundheitsmanagement, unterteilt in die Aspekte Herstellung, Information und Entwicklung.

Zutaten wie Lieferketten würden ebenso über Qualität entscheiden wie der wohlüberlegte Prozess,  saisonale und regionale Produkte zentral und/oder dezentral zu verarbeiten, um ein Essen nach Kundenwunsch aufs Büfett, zum Tisch oder ans Bett zu bringen.

Torsten Senz, Klüh Catering (PDF)


Daneben sieht das Konzept von Klüh Catering vor, über Lieferanten und Lebensmittel zu informieren, Workshops wie persönliche Beratung zu gesunder Ernährung anzubieten – und gemeinsam mit den Unternehmenskunden Menus zu entwickeln und auszuwählen.

Foto: SCSD Fachtag Teilhabe

Innovationen im Quartier entstehen, wo Dienstleister sich kostbaren Service leisten wollen und können, weil sie Einfälle und Kosten im Griff haben.

Verantwortung im Sozialbetrieb bedeutet, neben Know-how und Diensten auch ein unternehmerisches Vorbild ins Quartier und den ländlichen Raum zu tragen, um Infrastruktur und Nachbarschaft zu stärken, Modelle alternativen Wohnens und Arbeitens zu ermöglichen, Integration und Inklusion voranzubringen – mit dem Ziel:

Teilhabe für alle!