Kirche im Umbruch

Ältere als Reformer

 

Dass es der Kirche zur Zeit nicht allzu gut geht, dürfte wohl allseits Zustimmung finden. Die Mitgliederverluste  - insbesondere des letzten Jahres – sind dafür ein deutlicher Indikator. Die Befürchtung, dass sich diese Entwicklung auch gerade in den Corona-Jahren fortsetzen kann, ist groß.

Die Folgen sind Einnahmeverluste und damit ein Rückbau an Leistungen.

Mitgliederverlust nur ein Aspekt

Die Situation schlägt auf die Stimmung unter den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und in den Kirchengemeinden, die vor Ort für die Kirche stehen. Leicht kann es so zu einer allgemeinen Abwärtspirale kommen. Eine Folge bereits jetzt ist der schnell und überproportional wachsende Anteil Älterer unter den Mitgliedern und Aktiven.

Allerdings gibt es, wenn man genau hinschaut, auch Lichtpunkte. So ist die ehrenamtliche Betätigung nach wie vor hoch. Christenmenschen engagieren sich beträchtlich, weit über die Kirche hinaus, in der Gesellschaft.

Engagement unverändert stabil

Weitgehend stabil ist der ganze Bereich der Kirchenmusik. Und der soziale Dienst der Kirche, der Diakonie, expandiert Jahr für Jahr sogar. Auch sind Aufbrüche zu verzeichnen: viele Gemeinden öffnen sich für die Sozialräume, in denen sie leben, und kooperieren mit der Zivilgesellschaft.

Es gibt also durchaus Hoffnung. Aber um sie am Leben zu halten braucht es Reformen. Die Kirche muss sich in allen Bereichen näher bei den Menschen, flexibler und unbürokratischer, freundlich und offen auf allen Ebenen aufstellen. Das ist nicht mit großen Strategien und 12 Punkte Plänen gemacht. Sondern bedarf vor allem engagierter Menschen, denen Glaube und Kirche am Herz liegen.

Kompetenz der Älteren als Potential

Genau in dieser Hinsicht birgt nun der wachsende Anteil Älterer unter den Kirchenmitgliedern einen Schatz, den es zu heben gilt. Denn gegen den sonstigen Trend des Rückgangs der Mitgliedschaft wächst die Gruppe der Menschen über 60 Jahre in der Kirche noch eine ganz Zeitlang an. Und das bedeutet, dass sich hier ein Potential für die Kirche herausbildet, das aller Wertschätzung wert ist.

Noch nie gab es eine insgesamt gesehen dermaßen gut gebildete, gesunde, auch über Geld verfügende  Gruppe der Älteren wie heute. Und: sie stehen nicht selten der Kirche – insbesondere ihren Kirchengemeinden vor Ort – ausgesprochen aufgeschlossen gegenüber.

Aber: sie machen nur mit, wenn sie auch etwas bewegen können. Sei es im sozialen Bereich, in der Verwaltung der Gemeinde, im Dienst als Lektoren und Prädikanten, im Kirchenvorstand oder auch in der Diakonie.

Wider das Schimpfwort „Überalterung“

Sie wollen nicht betreut werden, sondern ihre Kirche mit voranbringen. Und weil sie oft genug hoch kompetent sind, Experten in ihren ehemaligen Jobs waren, können sie das auch, manchmal besser als Jüngere und auf jeden Fall mit ihnen immer gern zusammen.    

Also liebe Kirche: Kümmere dich um die Älteren! Verwende nie mehr das Schimpfwort von der Überalterung der Kirche! Das ist ohnehin diskriminierend! Wenn, dann sollten wir von Unterjüngung reden! Nein: Geht auf diese Menschen zu! Sie stellen viele Gottesgeschenke dar, die der Herr seiner Kirche in ihrer Krise zukommen lässt.

Werben durch Offenheit für Reformen

Aber sei dir klar: mit ihnen verändert sich deine Aufstellung und dein Auftritt. Sie suchen Möglichkeiten, sich aktiv gestaltend einzusetzen und daraus Kraft zu ziehen. Und das gilt auch religiös. Damit sie auch gerne sonntags kommen, braucht es Gottesdienste, ohne die man nicht durch die Woche kommt, wenn man nicht dagewesen ist (Margot Käßmann).

Und ihr Experten: Nehmt Euch der Kirche an! Auch wenn es manchmal Widerstand  gibt und verfestigte Strukturen einem den letzten Nerv rauben. Eure Kirche braucht Eure Kompetenz! Denkt nicht, ihr seid zu alt! Bei Gott gibt es keinen Ruhestand!    

 

Berlin im Februar 2021
 
Prof. Dr. Gerhard Wegner
Publizist, Pastor i.R.
SCS-Diakonie-Berater
 
Vorsitz des Niedersächsischen Bundes
für freie Erwachsenenbildung
Direktor des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der EKD (2004-2019)