Innovation = Erneuerung

Leisten Sie sich ein „Lab“!

 

Der Begriff „Innovation“ wird gern gebraucht, vielleicht allzu häufig. Das verleitet, etwas unbescheiden in rascher Folge enorme Entwicklungssprünge anzukündigen, die tatsächlich nur selten eintreten.

Besser als das populäre Fremdwort aus dem Lateinischen drückt daher seine Übersetzung ins Deutsche aus, dass „Erneuerung“ einen Prozess voraussetzt. Mag eine Erfindung, eine Erkenntnis für sich gesehen einzigartig sein, innovativ wirkt sie erst, so sie Herkömmliches grundlegend und weitreichend verändert hat.

Erneuerung verlangt Prozesse.

Digitaler Wandel, so erinnern uns Informatiker, nährt sich aus einer Forschung, die aus den 60ziger Jahren stammt. Bahnbrechend wurde sie, weil sie zu immer neuen Anwendungen führte und in alle Lebensbereiche einzog. Den Fortschritt treibt also ein sich vergrößerndes Netz guter Einfälle, die ihrerseits allerdings nur bedingt neu sein müssen und per se keine epochemachende Innovation auslösen.

Umgekehrt bedauern Physiker, dass Albert Einstein zwar die Naturwissenschaften revolutioniert habe, Politik und Gesellschaft jedoch kaum erreichen konnte. So gesehen bringen Debatten regelmäßig neue Ideologien hervor, ohne notwendigerweise zu neuem Denken, geschweige denn zu neuem Handeln zu führen.

Auch wenn Jüngere für sich beanspruchen, radikal mit Lebensformen der Älteren zu brechen, weisen Psychologen im Rückblick nach, dass die Jungen durchaus den Verhaltensmustern ihrer Eltern folgten. Der Apfel kann machen, was er will, er fällt nicht weit vom Baum, kommentiert der Volksmund.

Lösungen machen Fortschritt.

Ebenso lassen sich Fans durch Kompositionen begeistern, die kreativ quer durch Genres aus einem Fundus an Stilen und Techniken schöpfen. Selbst wenn sie als solche nie zuvor gehört wurden, mochte unser Musiklehrer sie nicht als wirklich neu bezeichnen, weil jede Note, jede Phrase, jeder Rhythmus bereits zuvor erdacht und gespielt sei.

Nun messen Naturwissenschaftler „Innovation“ anders als Sozialwissenschaftler. Im Sozialen werden Lösungen (Anwendungen) gesucht. Sie dürfen einfallsreich sein, müssen passen und sollen etwas bewegen. Ob sie innovativ ausfallen, liegt am Maßstab des Betrachters.

Innovation bricht ins Leben ein, Erneuerung lässt auf sich warten. Die eine kommt als Fremde, die andere nährt sich aus Eigeninitiative.

Beide werden gleichermaßen gefürchtet wie gefeiert, bringen Gewinner wie Verlierer hervor. Sie enttäuschen vielerlei Erwartungen und reiben sich am Widerstand aus Skepsis und Erfahrung. Ihre Risiken und Chancen lassen sich ebenso übertreiben wie schön reden.

Risiken vernebeln Chancen.

Menschen sehnen Wandel durchaus herbei. Organisationen beschwören ihn mit Bravour. Als „innovativ“, „kreativ“, „vergleichsweise besser“ angesehen zu werden, hebt  Selbstwert und Marktwert.

Forscher und Entwickler suchen und erproben neue Produkte und Dienstleistungen - gezielt, oft teuer und langwierig.

Doch außerhalb eines Labors sträuben sich die meisten Menschen, einen „Change“ methodisch anzugehen, ob auf dem Stuhl eines Therapeuten, in der Familie oder der Gruppe, zwischen den Bereichen eines Unternehmens. Das unterscheidet teilweise technologischen Fortschritt von sozialem Wandel.

Weshalb es sinnvoll erscheint, nicht auf einen „Big Bang“ zu setzen, sondern auf Lösungen, die nacheinander jeweils das nächst liegende Problem angehen. Nicht wenige Anbieter verkaufen ja gerade dies als „innovativ“.

Erneuerung verläuft in Wellen.

Innovation entwickelt sich, wo Erneuerung in einen Prozess übergeht. Man kann ihn in mehr oder weniger großen Zyklen nachzeichnen, in denen sich kurze, mittlere und lange Wellenlinien überlagern, gespeist aus vergangenen Daten und nachträglich korrigiert durch nicht erwartetes Geschehen.

Gemeinhin werden Produkte, Dienstleistungen, Arbeitsmethoden an Alter und Ergebnis gemessen, um darzustellen, wie innovativ und erfolgreich ein Betrieb ist. Genauso lassen aus Kurven gegenläufige Tendenzen herauslesen.

Auf „Outsourcing“ folgt „Insourcing“, auf „Insourcing“ ein „Outsourcing“, mal quantitativ mal qualitativ auf niedrigerem oder höherem Niveau. Konzerne wachsen, Mittelstand schrumpft, zuweilen auch umgekehrt. Unabhängig davon fasziniert das Ideal der kleinen, überschaubaren Einheiten, die flexibel, dezentral und eigenverantwortlich operieren sollen. Mit ihnen wird immer noch gern experimentiert.

Werte prägen Organisation.

Auch diakonische Einrichtungen vergrößern sich und rationalisieren. Doch der Anspruch an die Qualität der Dienste und an eine angemessene Bezahlung der Mitarbeiter*innen will jederzeit neu erfüllt sein.

Digitalisierung unterstützt besser als Akten aus Papier, das Einzel- und Gruppenwissen als immaterielles Betriebsvermögen zu speichern und zu nutzen. Und doch wird medizinische oder sozialpädagogische Dokumentation, fachliche oder wirtschaftliche Projektsteuerung als umständlich aufwendige Bürokratie wahrgenommen, die vom eigentlichen Arbeitsauftrag abhält.

Häufig ist wohl „Innovation“ nicht ausreichend innovativ. Selbst Erneuerung muss mit ihren Aufgaben qualitativ wachsen. Und wo das Komplexe zu schaffen macht, muss das Einfache überbrücken.

Methode bessert Arbeitsklima.

Der SCS-Diakonie empfiehlt ein Ideen-Labor einzurichten, virtuell und/oder räumlich. Das hieße, mit Methode heranzugehen, dabei kreative Pausen einzuräumen, um Alltägliches zu hinterfragen und Fehler zu verzeihen, Vorschläge auszutauschen, zu erproben und zu prämieren, Ergebnisse als Ziele horizontal wie vertikal zu vereinbaren und Leistungen danach auszuwerten.

Oder will das keiner - außer externen Beratern, die für solche Vorschläge bezahlt werden?


Berlin im April 2018

Ernst Rommeney
Diplomkaufmann
SCS-Diakonie-Berater