SCSD-Fachtag 2020

Fachtag 2021

Die Kirche braucht Dich!

 

Die Altersgruppe 60plus wächst, auch unter den Mitglieder der Kirchen, deren Gesamtzahl demgegenüber stetig sinkt. Sie ist gut ausgebildet, berufserfahren und ehrenamtlich engagiert, nicht unbedingt in Gemeinden und Diakonie.

Gleichwohl, betonte Professor Gerhard Wegner, zeigten sich die jungen Alten unverändert aufgeschlossen gegenüber Religion und Kirche. Darin sieht das Vorstandsmitglied des SCS-Diakonie eine Chance, sie dafür zu gewinnen, gemeinsam mit Jüngeren neue Ideen für Ortskirche und Sozialraum zu entwickeln.

Ehrenamt auf Augenhöhe anbieten

Talente nicht verkümmern zu lassen, erinnert der scheidende Vorstandsvorsitzede Bernt Renzenbrink, sei ein Motiv gewesen, vor 15 Jahren den Senior Consulting Service zu gründen und erneut dieses Thema für den Fachtag 2021 im Georgensaal an der Parochialkirche in Berlin-Mitte zu wählen.

„Die Kirche braucht Dich!“ Der Appell kommt ambivalent daher, lässt sich als Werbung wie als Ansage verstehen. Vielerorts halten Ältere die lokale Stellung, sehen zugleich organisatorische oder pastorale Reformen von oben skeptisch.

Andererseits bauen Hauptamtliche und Institution Hürden vor das Ehrenamt. Und es fragt sich, inweit sie Potentiale erkennen, Freiwillige an sich binden können, ja wollen. Ehrenamtliche wünschen ihrerseits auf Augenhöhe angesprochen zu werden. So lassen sich Referate und Diskussionen des Fachtages kurz zusammenfassen.

Deutscher Freiwilligen-Survey im März 2021 erschienen

28,8 Millionen Menschen, 39,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren, waren 2019 in Deutschland ehrenamtlich tätig. Ihr Anteil blieb zwischen 2014 und 2019 stabil, nahm aber über die letzten zwanzig Jahre gesehen zu (1999: 30,9%). Insbesondere Frauen zogen mit Männern gleich. Das ergab der Fünfte Deutsche Freiwilligen-Survey (März 2021).

Die Kurve ehrenamtlicher Tätigkeiten stieg von 42% bei den 14- bis 29-Jährigen auf 44,7% bei den 30- bis 49-Jährigen, fiel erst auf 40,6 Prozent bei den 50- bis 64-Jährigen und schließlich auf 31,2 Prozent bei der Altergruppe 65plus. Wobei diese das Niveau ihres Engagement bis ins 80zigste Lebensjahr vergleichsweise hoch hielt, bevor es sich halbierte.

Bildungsschere unter Ehrenamtlichen schließen

Junge Alte seien folglich genauso häufig engagiert wie jüngere Aktive, fasste Petra-Angela Ahrens, Kirchensoziologin im Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD Hannover, zusammen. Doch tue sich über alle Jahrgänge eine Bildungsschere auf. Personen mit hoher Schulbildung waren 2019 zu 51,1 Prozent im Ehrenamt unterwegs, mit mittlerer Bildung zu 37,4 Prozent, mit niedrigem Bildungsstand zu 26,3 Prozent.

Nicht-Engagierte hätten angegeben, zeitlich, beruflich, familiär eingebunden zu sein, nicht zusätzliche Verpflichtungen eingehen oder gerade erworbene Freiheit preisgeben zu wollen. Ein Teil von ihnen fühlte sich nicht informiert, nicht geeignet, ja sogar abgelehnt von denen, die ehrenamtliche Aufgaben vergeben.

Dass dies vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsstand äußern, sollten nach Meinung von Petra-Angela Ahrens Freiwilligenagenturen als Herausforderung begreifen. Ebenso problematisch erscheint ihr, dass Menschen, je älter sie werden, wohl möglich weniger gefragt seien.

Konfessionell gebundene Ehrenamtliche arbeiteten nicht vorrangig in Kirchengemeinden mit, durchaus aber in Projekten von Caritas und Diakonie, wie übrigens auch kirchenferne Freiwillige. Das liegt vielleicht daran, dass Soziales, Sport und Kultur zu den bevorzugten Einsatzbereichen gehören vor „Kirche und Religion“. Kirchliche Ehrenämter werden zu 27 Prozent von Älteren, zu 63% von Frauen und zu 48% von Mitglieder mit hoher Schulbildung übernommen.

Nachbarschaft mit sozialen Projekten bilden

Weshalb die Kirchensoziologin empfiehlt, dort anzuknüpfen und als kirchlicher Träger mit kulturellen und sozialen Angebot ins Quartier oder den ländlichen Raum hinein zu wirken. So sprächen Gemeinden eine Nachbarschaft an, die nicht primär religiös interessiert sei. Während eigene Mitglieder schon jetzt in Kommunen mehrfach engagiert seien.

Es gebe für Kirche und Diakonie viel zu tun, mahnt Petra-Angela Ahrens. Beispielsweise das Bewußtsein zu schärfen, dass die ältere Generation gebraucht werde, deswegen Beiträge und Potentiale, die sie einbringen wolle, anerkannt werden müßten.

Natürlich möchte Dr. Christina-Maria Bammel als Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz die jungen Alten auf allen kirchlichen Ebenen bei der Stange halten, damit sie so lange wie möglich ihre Expertise einbringen. Noch behinderten dies starre Altersgrenzen.

Zwar könnten Mitarbeiter*innen vorzeitig in den Ruhestand gehen, auch in ihn hineingleiten, ihn aber nicht hinausschieben – und wenn, nur vorübergehend durch eine geringfügige Beschäftigung. Ältere Freiwillige, die sich für ehrenamtliche Aufgaben interessierten, stießen zuweilen auf den Vorbehalt, zu alt dafür zu sein. Und mit Sorge beobachtet sie, wie im Laufe der Pandemie manches Engagement versandet ist. Gefragt sind demnach Lösungen, die Schwellen absenken.

Ehrenamt angemessen ausstatten

Dies gelte auch für Aufwandsentschädigungen wie Fahrtkosten oder Bücher, für Büroausstattung und Ausbildung. Eine Qualifikation, wie etwa die theologische zu PrädikantInnen, sei teuer und aufwendig. Teihabe finanziell angemessen auszustatten, drücke mithin Wertschätzung aus.

Doch zielt die Pröbst der EKBO weit darüber hinaus. Pilotprojekte von Kirche und Diakonie sollten Interessierte aus unterschiedlichen Generationen zusammenbringen, um gemeinsam zu erproben, wie kirchliches und kommunales Leben künftig zu gestalten sei. Daraus dürfte Neues entstehen, ohne heute schon zu wissen, wie es aussehen werde.

Gemeinden für den Sozialraum öffnen

Dr. Bammel erwartet, dass sich Gemeinden in gesellschaftliche Netzwerke einbringen, verbindende Aufgaben an Bedeutung gewinnen werden und je nach Region eine inklusive Kultur des Miteinanders initiert wird. Kirche tritt als Institution in den Hintergrund, ist weiterhin präsent als eine Spielerin unter vielen und passt ihre Gremienarbeit an.

Doch die Pröpstin übersieht die Widerstände nicht. Junge und alte, kirchennahe und kirchenferne Menschen äußern unterschiedliche Ansprüche. Die einen würden gern auf Zeit im sozialen Raum mitwirken, lösgelöst von verkrusteten Strukturen. Die anderen seien durch ständigen Wandel müde und erschöpft, hätten bereits lange die Fahne der Ortskirche hoch gehalten.

Gemeinschaft und Anerkennung erfahren

Die kleine lokale Einheit wollten sie nicht aus der Hand geben, um in einer größeren, vielleicht schlagkräftigeren Körperschaft aufzugehen. Sie sträubten sich dagegen, dass Nachbarn, die kein Bekenntnis mitbringen, nicht nur mitwirken, sondern auch mitbestimmen dürften.

Selbstwirksamkeit, Gemeinschaft und Anerkennung möchten wohl alle erfahren. Geht es nach Dr. Christina-Maria Bammel, dann sind es Bildung und Professionalisierung, die das Ehrenamt in Kirche, Diakonie und Sozialraum attraktiv machen.

 


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