Pflegende Jugendliche

Ehrenleute im Quartier

 

Kinder und Jugendliche kümmern sich um jüngere Geschwister, helfen kranken oder älteren Familienmitgliedern, sorgen für suchtabhängige oder psychisch belastete Eltern. Sie übernehmen Aufgaben, die sie fordern, zuweilen überfordern.

Nicht selten erdulden sie mehr, als ihnen zumutbar, weil sie fürchten, andernfalls würde ihre Familie auseinanderbrechen. Manchmal stehen sie abseits, obschon sie sich mittendrin befinden. Im Trubel des Alltags werden ihre Person, ihre Wünsche, ihre Leistungen zu wenig beachtet.

Pflege fordert, ja überfordert Jung und Alt

Selbst Erwachsene unterschätzen persönliche Grenzen, nicht nur die eigenen, sondern auch die der Jüngeren. Sie halten ihr familiäres Engagement für selbstverständlich, sehen für sich vielleicht gar keine andere Wahl. Und doch bleibt es höchst anspruchsvoll und aufreibend, Tochter oder Sohn mit Behinderung lebenslang zu betreuen, pflegebedürftige Angehörige bis ins Sterben hinein zu begleiten.

Wir reden viel von Inklusion, streiten über Teilhabe im Stadtquartier und im ländlichen Raum. Über Jahrzehnte haben Gesellschaft und Einrichtungen ihre Einstellung geändert – und sind längst nicht am Ziel. Menschen mit Krankheit oder Behinderung sollen leben wie andere Leute auch: in eigenen vier Wänden, möglichst selbstbestimmt und gut betreut. „Ambulant vor stationär“ wurde zum Ehrgeiz der Gesundheits- und Sozialpolitik.

Inklusion setzt auf Kraft der Familie

Gewiss, Barrieren zu senken und kleinteilige Angebote in der Nachbarschaft anzubieten, hat sich professionelle Gemeinwesenarbeit zur Aufgabe gemacht. Doch die Kehrseite gesellschaftlichen Fortschritts bleibt eine Last, die größtenteils Familien oder Ehrenamtliche schultern müssen, selbst wenn sie es gern tun. Ohne ihre Kraft wäre das Konzept wohnortnaher sozialer Dienste nur Stückwerk.

„Ehrenmann/Ehrenfrau“ wurde im letzten November zum Jugendwort des Jahres 2018 gewählt. Und dies, weil sich der Begriff im Sprachgebrauch der Jungen gewandelt habe und jene bezeichne, die schlicht Gutes tun. Im krassen Gegensatz etwa zu jenem Unwort von Ehre, die „frau/mann“ gefügig machen, die innerhalb wie außerhalb der Familie eher als Drohung verstanden werden soll.

Kinder und Jugendliche brauchen schützende Hand

Reden wir also von Kindern und Jugendlichen als Ehrenleuten. Zu lernen, verantwortungsvoll Aufgaben zu erfüllen, hilft jungen Menschen, sich zu entwickeln. Viele berichten später als Erwachsene, dass ihnen eine Kindheit, die nicht gerade auf Rosen gebettet war, nicht geschadet habe. Meist erinnern sie sich zugleich an Jemanden, der umsichtig seine schützende Hand über sie gehalten hat: Mutter oder Vater, Tante oder Onkel, Oma oder Opa, Nachbarn.

Man muss Erzählungen aus der Rückschau nicht idealisieren, jedenfalls nicht gesellschaftspolitisch. Doch solche Beispiele lehren, dass Kinder und Jugendliche für ihre Leistung, für ihr „Ehrenamt“ Anerkennung und Zuspruch brauchen. Sie benötigen einen Mentor, der zuhört, entlastet und weiterhilft, wenn es eng wird. Eine Mentorin, die ermuntert, Grenzen zu setzen, wo Kräfte schwinden, wo Persönliches in Schule, Sport und Freizeit vernachlässigt wird.

Pausentaste achtet auf persönliche Grenzen

Niemand kann mehr geben, als er hat. Das heißt zu trainieren, zur rechten Zeit die Pausentaste zu drücken. Diesen Namen hat eine Webseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die sich an Kinder und Jugendliche wendet: "weil manchmal selber Hilfe braucht, wer Anderen hilft" – und im Stillen wertvolle Quartiersarbeit leistet.

 

SCSD-Mitglied Ernst Rommeney
Berlin im Juni 2019
 
 
 
Ernst Rommeney
Diplomkaufmann, SCS-Diakonie-Berater