Nachhaltige Kapitalanlage

Unternehmen als Ganzes neu ausrichten

 

Das Thema Nachhaltigkeit ist en vogue. Und den Finanzmarktteilnehmern kommt eine besondere Rolle zu. Laut dem Green Deal der Europäischen Union sollen einflussreiche Kapitalsammelstellen unter anderem für die Finanzierung der Klimawende Sorge tragen. Aber was bedeutet das eigentlich konkret für das Unternehmen?

Alle Kapitalanleger, und damit insbesondere die Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und Versorgungswerke, sind aufgefordert, mit ihren Investitionen die auf Klimaschutz ausgerichtete Transformation der Wirtschaft maßgeblich mitzugestalten. Zielgerichtet eingesetztes Kapital soll eine große Hebelwirkung entfalten, damit die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden.

Öffentlicher Druck nimmt zu

Allerdings besteht keine Pflicht zur nachhaltigen Kapitalanalage. So können Unternehmen selbstverantwortlich entscheiden, ob und wie nachhaltig sie ihre Kapitalanlage ausgestalten möchten. Allerdings nimmt der öffentliche Druck zu, eine Anlagestrategie zu etablieren, die nicht nur den Klimaschutz berücksichtigt, sondern darüber hinaus sämtliche Kriterien der Nachhaltigkeit aus den Bereichen Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG) einbezieht.

Erste regulatorische und aufsichtsrechtliche Anforderungen zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken sowie zur Veröffentlichung über Umfang und Inhalt von bereits vorhandenen Nachhaltigkeitsstrategien bzw. -aktivitäten sind jedoch schon in der Welt und zwingen, sich mit diesem Thema aktiv zu beschäftigen. Die EU-Taxonomie- und die EU-Transparenzverordnung sind dabei nur Puzzlestücke.

Passive Rolle schafft keinen Mehrwert

Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Unternehmen die zentrale Frage, wie sie mit dem Thema der Nachhaltigkeit grundsätzlich umgehen wollen. Sie können eine eher passive Rolle einnehmen und mit einer Art Minimallösung versuchen, lediglich die regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu beantworten. Dies schafft allerdings keinen unternehmerischen Mehrwert und wird oft als unnötiger Ballast empfunden.

Sinnvoller erscheint demgegenüber eine (pro-)aktive und chancenorientierte Rolle, bei der es gilt, eine eigene mehrwertschaffende Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, die unternehmensübergreifend weit über die Kapitalanlage hinausgehen kann. Damit kann auch eine Vorbildfunktion für andere Marktteilnehmer eingenommen werden.

Zunächst gilt es aber, Klarheit zu schaffen, was eigentlich unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist, einem weiten Feld mit größtenteils unklaren Konturen. Eine Legaldefinition der Nachhaltigkeit existiert nicht. Was die Unternehmen in die Bredouille bringt, ihre Position selbst zu finden.

Gesetze definieren Nachhaltigkeit nur teilweise

Die EU-Taxonomieverordnung kann dabei teilweise helfen. Sie beinhaltet zumindest „Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist (Taxonomie), um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können“. Technische Bewertungskriterien sollen sicherstellen, dass die angestrebten Klima- und Umweltziele auch erreicht werden.

Aber unabhängig von den formal-juristischen Vorgaben müssen die Unternehmen ihre eigene Position entwickeln, wollen sie nicht in einer passiven Rolle verharren. Dieser Prozess sollte nicht überstürzt in der Kapitalanlage beginnen, sondern auf einer strategischen Betrachtungsebene. Es gilt das Ziel, die Gesamtunternehmensstrategie mit Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Dies bietet zahlreiche Chancen.

Am Anfang steht der eigene Wertekanon

Dazu ist es besonders wichtig, sich in einem ersten Schritt über die Werte des Unternehmens Klarheit zu verschaffen und einen Wertekanon zu identifizieren. „Für was stehen wir“ und „wie wollen wir das Unternehmen werteorientiert steuern“ sind zwei zentrale Fragestellungen, auf die es unternehmensindividuell Antworten zu finden gilt.

Danach steht die Entwicklung einer eigenen Nachhaltigkeits-DNA im Fokus. Wie intensiv möchte man das Thema treiben? Welches Ambitionsniveau soll verfolgt werden? Welche Schwerpunkte werden gesetzt? Nur wenn diese Fragen intern gemeinsam diskutiert und beantwortet werden, Vorstand, Führungskräfte und alle Mitarbeiter dahinterstehen, erreicht man auch tatsächlich Glaubwürdigkeit nach außen. Sehr sinnvoll ist auch die Einbeziehung des Aufsichtsrates.

Glaubwürdigkeit und Transparenz gehören dazu

Inzwischen unterstützt auch der Branchenverband GDV die Nachhaltigkeitsbemühungen der deutschen Versicherer. In einem Positionspapier von Januar 2021 betont er, dass sich alle Versicherer „zu den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (SDGs) und zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens“ bekennen. Es wird eine Treibhausgasneutralität bis 2050 angestrebt.

Das Positionspapier ist letztlich jedoch eine Absichtserklärung und bleibt vage im Hinblick auf eine konkrete Ausgestaltung. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass es keine belastbaren Zahlen über schon vorhandene ESG-qualifizierte Anlageformen in der Assekuranz gibt. Die bisherigen Angaben und Veröffentlichungen sind mit äußerster Vorsicht zu genießen, da unklar bleibt, wie weit, tief und intensiv Nachhaltigkeitsaspekte Berücksichtigung gefunden haben.

Kapitalanleger verantwortet das investierte Geld

Besonders bedeutsam für eine nachhaltige Kapitalanlage ist der Aspekt der Verantwortung, der früher zumeist keine Beachtung fand. Deshalb wird in diesem Zusammenhang häufig auch von verantwortlichem Investieren gesprochen. Der Kapitalanleger bekennt sich zur Verantwortung für das investierte Geld und seine Wirkung. Es ist ihm nicht gleichgültig, aus welchen Quellen und unter welchen Bedingungen die erwartete Rendite generiert wird.

Es gilt, die richtigen Produkte für die Kapitalanlage am Markt zu finden. Hierzu gibt es bereits erste Instanzen, die beim Rating oder der Zertifizierung von Produkten Unterstützung anbieten. Weitaus mehr zeigen sich jedoch am Markt viele Produkte, bei denen Greenwashing naheliegt. Das Produkt hat eine hübsch grüne Anmutung, aber der Inhalt ist weit von ESG entfernt oder nur oberflächlich vorhanden.

Selbst Green- oder Blue-Bonds, aber auch so genannte SDG-Bonds sollte der Anleger  - unabhängig von der zuweilen enttäuschenden Renditeerwartung - daraufhin analysieren, ob die investierten Mittel tatsächlich halten, was sie versprechen. Hier gilt es, tief einzusteigen und die Produkte systematisch auf Herz und Nieren zu prüfen.

Moralisch bedenkliche Profite werden bewusst ausgeschlossen

Die Umsetzung einer aktiven Nachhaltigkeitsstrategie in der Kapitalanlage erfolgt auf der Grundlage des Wertekanons des Unternehmens. Ihn sollte das Portfolio spiegeln. Einerseits keine Anlagen enthalten, die den eigenen Wertevorstellungen widersprechen bzw. andererseits solche präferieren, die eine hohe Korrelation mit den eigenen Werten aufweisen.

Insofern kann und sollte zunächst über Kriterien nachgedacht werden, bei denen der bewusste Ausschluss von moralisch bedenklichen Profiten im Vordergrund steht. Hier kann es im Einzelfall jedoch unter Risikogesichtspunkten zu Fragen ausreichender Diversifikation kommen. Diese stellen sich bei reinen Best-In-Class-Ansätzen eher nicht. Hier wird unter ESG-Gesichtspunkten jeweils nur in die besten Titel einer Anlageklasse beziehungsweise einer Branche investiert.

Lösungen  zielen auf wirtschaftliches, ökologisches, soziales Gleichgewicht

Reine Impact Investments können eine derartige Strategie sinnvoll ergänzen. Häufig handelt es sich bei nachhaltiger Kapitalanlage im Ergebnis um einen gesunden Kompromiss, das heißt eine lösungsorientierte Herangehensweise, die ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Faktoren schafft.

Ebenso wie rein philanthropisches Denken keinen Raum in der Kapitalanlage von institutionellen Investoren finden kann, gilt es vor allem auch nicht mehr, im Sinne eines Mainstream-Investings nur allein nach der höchsten Rendite zu streben.

Dies bedeutet,  im Sinne des verantwortlichen Investierens nach einer auskömmlichen Rendite zu streben, um Garantien und Rechnungszinsen nach wie vor uneingeschränkt bedienen zu können. Gleichzeitig kann der Investor von den positiven risikotechnischen Effekten einer Volatilität reduzierenden Wirkung der Nachhaltigkeit profitieren und die Gefahr von „stranded assets“ deutlich reduzieren.

Eigene aufwendige Standards zahlen sich aus

Mit gezielten Engagement-Aktivitäten zu diversen Themen und Fragestellungen kann zudem der angenommenen Verantwortung deutlich mehr Rechnung getragen werden. Dies sollte auch aus Sicht der Versicherungsnehmer positiv gewertet werden, für die die Nachhaltigkeit ein bedeutsames Element für die individuelle Beurteilung ihres Versicherungsunternehmens ist.

Nachhaltigkeit ist ein sehr weites, komplexes Feld. Versicherungen sind gut beraten, die Nachhaltigkeit holistisch zu betrachten – denn sie betrifft das gesamte Unternehmen. Und auch wenn der Kapitalanlage eine besondere Rolle zukommt, gilt es, dort nicht überstürzt und isoliert in Aktionismus zu verfallen. Von hoher Bedeutung ist die Einbettung einer Nachhaltigkeitsstrategie in die gesamte Unternehmensstrategie.

Nachhaltigkeit ist ein komplexes Feld

Da es bislang noch wenig Standards gibt, gilt es eigene zu definieren. Auch wenn dies zunächst mit Aufwand verbunden ist, wird sich dies für die Unternehmen auszahlen.

Denn so lässt sich intrinsisch ein unternehmensindividueller Umgang mit Nachhaltigkeit evolutionär entwickeln, der tatsächlich zum Wertekanon des Unternehmens passt und noch weitere Mehrwerte entfaltet.

 

 

Köln im Oktober 2021

Ewald Stephan
stellv. Vorsitzender des SCS-Diakonie
Berater für Nachhaltigkeit bei Finanzmarktteilnehmern
Senior Advisor bei Assekurata Solutions GmbH
Vorsitzender des Aufsichtsrates der Assiduus Vermögensverwaltung GmbH in Berlin
 
 

Christoph Brüggentisch

Co-Autor
Managing Consultant ASSEKURATA Solutions GmbH